Visionen entwickeln, die politische Handlungen inspirieren - Teil 1

Wie kann die Schweiz die Energieversorgung der nächsten Jahre in Anbetracht der Klimaziele sicherstellen? Wie soll ihre Beziehung zur EU aussehen? Wie verstehen wir die Schweizer Neutralität? Diese Themen gehören aktuell zu den dringendsten in der Schweizer Politik. Umso frustrierender, dass genau für diese Themen überparteiliche Visionen für Lösungen fehlen. Überraschend ist das nicht, denn in welchem Rahmen würden diese Visionen entwickelt? Ein passendes Gefäss gibt's noch nicht.

Bei unserem ersten Versuch, Zukunftsvisionen in einen Policy Sprint - damals zum Thema klimaneutraler Verkehr - einzubauen, haben wir einiges gelernt.

Um gedanklich in das Thema einzusteigen, sollten die Teilnehmenden via Visionen der zukünftigen Mobilität ihre Gemeinsamkeiten finden. Zusammen mit dem Dezentrum hatten wir dafür im Vorfeld fünf verschiedene Postkarten entwickelt, die ganz unterschiedliche hypothetische Mobilitätsszenarien der Zukunft abbildeten. Die Postkarte aus Genf, zum Beispiel, zeigt einen motorisierten Individualverkehr, der durch die Förderung von Elektrofahrzeugen zugenommen hat. Wenn die Fahrzeuge nicht gefahren werden, werden sie als Stromspeicher genutzt. Auf der Postkarte aus Bern verkehren energie-effiziente Transportmittel sowie der öffentliche Verkehr inzwischen grossteils sous terrain. Dadurch freigewordene Strassen und neue Begegnungszonen prägen das Stadtbild.

Ein detaillierte Beschreibung der Postkarten findet ihr hier.

Unserer Vorstellung nach hätten sich die Teilnehmenden über diejenigen Aspekte der Postkarten-Visionen ausgetauscht, die sie spannend oder inspirierend fanden. Somit wäre ein positiver, gemeinschaftlicher Boden geschaffen worden, um im Rahmen des Policy-Sprints gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. 

Ganz so gut funktioniert hat das leider nicht. Die regen Diskussionen halfen zwar, sich dem Thema anzunähern, drehten sich jedoch nicht um die positiven oder anzustrebenden Zukunftsszenarien. Stattdessen standen diejenigen Aspekte im Vordergrund, die entweder unvorstellbar waren oder welche die Teilnehmenden in der zukünftigen Schweizer Mobilität definitiv nicht sehen wollten. 

Was ist schief gelaufen? Unsere drei Erkenntnisse:

These 1: Zukunftsvisionen müssen ausgelöst statt aufgezwungen werden.

Dass sich viele nicht mit Solarpanels beim Jet d’Eau auf dem Genfersee oder einem grossen Autoaufkommen, wenn auch elektrisiert, identifizieren können, ist natürlich verständlich. Und so war es bei vielen Details. Die präsentierten Postkarten liessen keinen Raum für Interpretation, sondern waren schon fertige Zukunftsbilder. Dementsprechend war die erste Reaktion eine Kritik - die Teilnehmenden wollten die vorliegende Vision so anpassen, dass sie dahinter stehen konnten. Wir haben gelernt: Um sich mit Zukunftsszenarien identifizieren zu können, muss man es selber er- oder mitbearbeiten. Die Vision muss also ausgelöst und nicht aufgesetzt werden.

These 2: Zukunftsbilder müssen gemeinsam erarbeitet werden, damit sie politisch umsetzbar sind. 

Die erste These gilt auch auf der Ebene einer Gruppe oder Gesellschaft: Damit sich alle in einem Zukunftsszenario gesehen und vertreten fühlen, müssen sie bei der Entwicklung einbezogen werden. Im Fokus sollten dabei die Gemeinsamkeiten stehen: Wo überschneiden sich die verschiedenen Zukunftsvisionen? Welche Elemente wünschen sich alle Teilnehmenden und wie können diese umgesetzt werden? Durch den Einbezug verschiedener Perspektiven werden die Zukunftsbilder mehrheitsfähig und die politischen Massnahmen zu deren Realisierung umsetzbar. 

These 3: Kollaborative Zukunftsgestaltung erfordert die richtigen Methoden.

Damit eine gemeinsame Vision entstehen kann, deren Elemente noch nicht vorab definiert sind, braucht es die passenden Methoden. Der Blick in die Zukunft lohnt sich, um das Feld der Möglichkeiten aufzuspannen.

Wir lassen diese Visionen nicht nur entstehen, sondern beschäftigen uns danach, wie wir diese realisieren. Dafür benutzen wir die Methode des Backcastings: Zuerst wird ein Thema definiert, in welchem Handlungsbedarf besteht. Mit dem Blick in die Zukunft lässt sich ein gemeinsame Vision erschaffen, die als Anker dient, um als nächstes von der Gegenwart aus die notwendigen Schritte zum Erreichen dieser Vision zu entwickeln. So lassen sich Massnahmen erarbeiten, die sowohl wirksam sind, wie auch von einer Mehrheit unterstützt werden. Unsere Postkarten sind ein Beispiel für einen solchen Anker. 

Aus diesen drei Erkenntnissen entstehen für uns drei Fragen, die sicher auch für andere Visions-Entrepreneure relevant sind: 

  1. Was kann ich auslösen, so dass Zukunftsbilder in den Köpfen der Menschen entstehen?

  2. Welche Akteure binde ich ein, um Zukunftsbilder zu entwickeln, mit denen sich verschiedene Menschengruppen identifizieren können?

  3. Welche Werkzeuge und Prozesse nutze ich, um gemeinsame Zukunftsvisionen und Massnahmen für deren Realisierung zu gestalten?

Ausgehend davon haben wir bei unserem Labor für politische Visionen unseren Anker etwas abgeändert und damit ganz andere Resultate erzielt. Mehr dazu aber in unserem nächsten Blog.

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re:publica22: Her mit der besseren Zukunft!