Expedition Zukunft: Gemeinsam politische Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen entwickeln
In der Schweizer Klimapolitik herrscht Chaos: Nach der verlorenen Abstimmung über die Revision des CO2-Gesetzes Mitte Juni dominieren unkoordinierte Einzelvorstösse die Debatte. Die Grünen beharren auf einem Klimarat und ernten dafür vor allem Kopfschütteln. Bundesrätin Sommaruga verkündet, künftig auf neue Abgaben verzichten zu wollen, woraufhin sie sogar von der wirtschaftsliberalen NZZ aufgefordert wird, “noch einmal über die Bücher zu gehen”. Die SVP verlangt, dass der Betrieb der Kernkraftwerke verlängert wird, während die Sozialdemokraten den Finanzplatz ins Visier nehmen.
Stefan Häne vom Tages-Anzeiger bringt es in einem Kommentar auf den Punkt: “Nach dem Absturz des CO₂-Gesetzes müssen sich die Politiker zusammenraufen. Stattdessen streiten sie bereits wieder.” Die Schweiz zeigt gerade beispielhaft auf, weshalb der Umgang mit dem Klimawandel heute hauptsächlich ein politisches Koordinationsproblem ist.
Aber nicht nur beim Klimawandel agiert die Politik orientierungslos. Die Weiterentwicklung der Agrarpolitik (AP22+) wurde bis auf weiteres sistiert. In der Europafrage weht seit dem Abbruch der Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen ein eisiger Wind aus Brüssel. Und seit 26 Jahren scheitert jeder Versuch, die Altersvorsorge in der Schweiz zu reformieren. Unser politisches System tut sich schwer damit, mehrheitsfähige Antworten auf komplexe Zukunftsfragen zu finden.
Genau hier setzt Expedition Zukunft an. Unser Ziel ist es, politische Entscheidungsträger:innen dabei zu unterstützen, ambitionierte, griffige und mehrheitsfähige Antworten auf die dringendsten gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden. Zu diesem Zweck schaffen wir kollaborative Räume und Formate für die überparteiliche Entwicklung von Lösungen, die über bestehende Instrumente in den legislativen Prozess eingebracht werden können.
Unser Ansatz ruht auf drei Pfeilern:
Erstens depolarisieren wir die Themen, indem wir auf bestehenden Schnittmengen aufbauen, mit neuen Narrativen ideologische Gräben überbrücken und konsequent mit Vertreter:innen des gesamten politischen Spektrums zusammenarbeiten.
Zweitens moderieren wir die Lösungsentwicklungsprozesse auf Basis von innovativen Methoden, die sich in anderen Kontexten — zum Beispiel in multilateralen Institutionen — bewährt haben. Dabei führen wir wissenschaftliche Fakten und die verschiedenen Perspektiven der Wirtschaft zusammen. Zudem versuchen wir, die Präferenzen und Stimmungen der Bevölkerung einzufangen.
Drittens unterstützen wir Parlamentarier:innen dabei, die Intensität und Kadenz der legislativen Arbeit hoch zu halten. Dies erreichen wir, indem wir konsequent auf konkrete Massnahmen fokussieren, die sich sofort umsetzen lassen, und die daraus entstehenden politischen Projekte langfristig begleiten.
Expedition Zukunft braucht es, weil komplexe Zukunftsfragen unseren politischen Institutionen Aufgaben stellen, für die sie nicht konzipiert wurden. Die Grundstrukturen der Bundesversammlung — ihre Aufgaben, Organisation, Betriebsstrukturen und Verfahrensinstrumente — gehen auf das 19. Jahrhundert zurück. Seither kam es zwar regelmässig zu Revisionen von Parlamentsrecht und -praxis, zuletzt 2003 mit der Einführung des Parlamentsgesetzes. Trotzdem stammt das Design des politischen Systems der Schweiz aus einer anderen Ära: aus einer Zeit, in der die politische Agenda von greifbaren inländischen Themen und nicht von abstrakten Megatrends wie Globalisierung, Digitalisierung, Urbanisierung und Klimawandel dominiert wurde. Was es nun braucht, ist ein Update.
Dieses Update hat aber weder mit spezifischen Menschen in unseren Parlamenten oder Ämtern noch mit Wähleranteilen oder Departementsverteilungen zu tun. Auch geht es in einem ersten Schritt nicht einmal um andere bzw. bessere Vorschläge für Gesetze und Verordnungen. Zuerst gilt es, ein grundlegendes Problem anzupacken: die Art und Weise, wie wir Politik machen.
In der politischen Maschinerie steckt der Wurm drin, und das gleich an verschiedenen Stellen. Der Sessionsrhythmus der eidgenössischen Räte führt zu einer “Stop-and-Go”-Dynamik bei Themen, bei denen man eigentlich intensiv am Ball bleiben müsste. In Kommissionssitzungen ist eine konstruktive Suche nach Konsens oft nicht möglich, weil die Fronten bereits verhärtet sind, bevor die Debatte überhaupt begonnen hat. Und gewisse Themen sind so stark zur Bastion einzelner Parteien verkommen, dass neue Ideen — so gut sie auch sein mögen — nur deshalb abgelehnt werden, weil sie aus der falschen Ecke kommen.
Damit unsere politischen Institutionen effektiver mit komplexen Phänomenen umgehen können braucht es neue Foren. Diese Foren müssen spezifisch für die Entwicklung politischer Antworten auf gesellschaftliche Zukunftsfragen konzipiert und in die bestehende Politordnung eingebettet sein. Sie müssen eine Kultur des Vertrauens und der Zusammenarbeit vorleben, um konstruktive Dialoge und pragmatische Lösungen zu ermöglichen. Sie müssen Vertreter:innen des gesamten politischen Spektrums in die Lösungsentwicklung einbeziehen, damit die Resultate sowohl im Parlament wie auch an der Urne Mehrheiten finden. Und sie müssen die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die relevantesten Erfolgsbeispiele aus dem Ausland und die diversen Stimmen der Zivilbevölkerung konstruktiv integrieren können. Expedition Zukunft schafft solche Foren.
Unser erstes Format ist der “Policy Sprint”, an dem Parlamentarier:innen in enger Zusammenarbeit mit ausgewählten Stakeholdern einen konkreten Massnahmenplan erarbeiten, der die Grundlage für politische Vorstösse bildet. Den ersten Policy Sprint führen wir im kommenden Winter zum Thema “Klimaneutrale Mobilität” durch.
Unsere Initiative ist ein Experiment. Die Schaffung kollaborativer Foren erscheint manchen als triviale Aufgabe, verkommt in der Umsetzung aber oft zur Knacknuss, wie dies jüngst die COVID-19 Science Task Force exemplarisch aufgezeigt hat. Ob es uns gelingt, die Kultur des politischen Schaffens zu verändern und damit mutigere Politik zu designen, wird sich zeigen. Angesichts der Dringlichkeit vieler gesellschaftlicher Themen bleibt uns aber gar nichts anderes übrig, als aufzubrechen und Expeditionen in die Zukunft zu wagen.
ÜBER EXPEDITION ZUKUNFT
Expedition Zukunft ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Bern. Vorstandsmitglieder sind Josephine Herzig (Co-Präsidentin), Dominic Hofstetter (Co-Präsident), Dr. Vera Eichenauer, Dr. Florian Egli und Océane Dayer. Der Verein ist politisch und konfessionell neutral und wird durch den Migros-Pionierfonds ermöglicht.