Kleine Massnahmen, grosse Wirkung in der Klimapolitik

Bundeshaus – Foto: Martin Zenker

Gefragt ist nicht der grosse Wurf, sondern die naheliegende, sofort umsetzbare Lösung – Ein Gastkommentar von Josephine Herzig und Raoul Blindenbacher, erschienen am 1. Juni 2023 in “Der Bund”.

Die Mühlen der Politik mahlen langsam: Vor acht Jahren wurde das Pariser Klimaabkommen ratifiziert, vor vier Jahren die Gletscher-Initiative lanciert und danach ein Gegenvorschlag dazu entwickelt. Die SVP hat das Referendum ergriffen, das nun am 18. Juni zur Abstimmung kommt. Im schlechtesten Fall wird nach der Abstimmung die Diskussion über die Initiative neu entfacht, im besten Fall wird ein Kompromiss gefunden, der auf dem wohl wenig innovativen kleinsten Nenner beruht.

Das Ergebnis solch zähflüssiger Konsensverfahren ist vielfach, dass jeder ein wenig verliert und politische Gräben bestehen bleiben. Ergebnislose Sitzungen und runde Tische, an denen vor allem Bekanntes aufgewärmt sowie Differenzen vertieft werden, sind die Regel. Sicher: Diese Mechanismen beruhen auf verfassungsrechtlichen Prinzipien, sie sind historisch gewachsen und tief im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Sie über Bord zu werfen, muss gut überlegt sein, gerade auch vor dem Hintergrund weltweiter Bestrebungen, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu verdrängen.

Die Praxis könnte dennoch verbessert werden. Wir denken dabei an praktische Massnahmen, mit denen sich Gegensätze ausgleichen, Abläufe beschleunigen sowie Nachhaltigkeit fördern lassen. Eine bei der Weltbank entwickelte und bei der OECD kürzlich überarbeitete Methode, “Gouvernementale Lernspirale” genannt, setzt genau bei solchen pragmatischen Vorgehensweisen an.

Im Vordergrund steht die Entschärfung wachsender Polarisierung in der Politik, indem Problemlösungen nicht durch Kompromiss, sondern Konvergenz erzielt werden. Voraussetzung dafür ist die Einsicht der politischen Akteure, dass die eigene Position nicht mehrheitsfähig und Lösungen nur in Zusammenarbeit aller möglich sind.

Es geht um Massnahmen, mit denen sich Abläufe beschleunigen lassen.

Akteure sind nicht mehr Konkurrenten, sondern Ressourcen. Dabei stehen Expertise und Erfahrung im Vordergrund und nicht das Parteibuch. Dies fördert eine Versachlichung der Debatte und verhindert, dass Altbekanntes und Trennendes aufgewärmt werden. In dieser “depolitisierten” Gesprächskultur lassen sich Ideen entwickeln, die im herkömmlichen institutionellen oder politischen Denken kaum Platz finden.

Gefragt ist nicht der grosse Wurf in weiter Ferne, sondern die naheliegende, sofort umsetzbar Lösung. Dabei werden nicht nur die besten und wichtigsten, sondern die dringendsten Massnahmen gesucht.

Expertise und Erfahrung sollen im Vordergrund stehen, nicht das Parteibuch.

Das Verbinden von Lösungssuche und Umsetzungsplanung trägt in hohem Masse zu deren Realisierbarkeit bei. Um die Nachhaltigkeit zu sichern, ist die Wirkung der Lösung fortlaufend zu messen, allenfalls zu justieren oder durch neue Massnahmen zu ersetzen.

Selbstverständlich lassen sich mit dieser Methode Herausforderungen wie die Klimafrage nicht auf einen Schlag lösen. Dafür können politische Pattsituationen überwunden werden, wie das Beispiel von “Expedition Zukunft” zeigt. Die vom Migros-Pionierfonds unterstützte, politisch neutrale Plattform erarbeitet in Anlehnung an die “Gouvernementale Lernspirale”, in sogenannten Policy Sprints, konkrete Massnahmen, mit denen beispielsweise der Verkehr in der Schweiz bis 2050 klimaneutral gestaltet werden soll.

Mit Teilnehmenden aus Parlament, Verwaltung, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft wurden im Frühjahr 2022 konkrete Vorstösse zur Veloinfrastruktur im ländlichen Raum und zu den raumplanerischen Bedingungen im Einkaufs-, Freizeitund Tourismusbereich sowie ein Aktionsplan für emissionsarme Mobilitätsangebote entwickelt. Mit der Empfehlung des Bundesrats wurden diese dann als Postulate und Motionen bereits in den darauffolgenden Sessionen vom Parlament verabschiedet.

Ein Resultat, das in so kurzer Zeit niemand für möglich gehalten hätte. Es wurden wichtige und dringende Lösungen erarbeitet und umgesetzt, die wohl kaum den Klimawandel aufhalten, aber mit Sicherheit zu dessen Entschärfung beitragen. Der Grund dafür dürfte für einmal nicht nur an den Massnahmen liegen, sondern eben auch an der Art und Weise, wie diese entstanden sind.

Dieser Text erschien am 1. Juni 2023 in “Der Bund” (S.12).
Raoul Blindenbacher ist Berater der OECD, Josephine Herzig ist Co-Präsidentin von Expedition Zukunft.

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